Demografiewoche

Der demografische Wandel (4): Halberstadt

Im finalen Beitrag unserer vierteiligen Blogserie zur Woche der Demografie in Sachsen-Anhalt, wenden wir uns der 41.000 Einwohner zählenden Kreisstadt Halberstadt zu, die sich zunehmend mit den Folgen des demografischen Wandels auseinandersetzten muss. Wenngleich sowohl Tourismus als auch produzierende Wirtschaft dank des international bedeutenden Domschatzes sowie einer Vielzahl erfolgreicher Mittelstandsbetriebe (vor allem aus den Bereichen Maschinenbau und Medizintechnik) durchaus florieren, sinkt doch die Einwohnerzahl beständig. So hat Halberstadt zwischen 2003 und 2013 mehr als 3.100 Einwohner verloren, was einem relativen Bevölkerungsrückgang von 6,9% entspricht. Diese stark negative Entwicklung schließt bereits die 2010 erfolgte Eingemeindung von fünf neuen Ortsteilen mit rund 4.700 Einwohnern mit ein (Eingemeindungen kaschieren die wirkliche Dynamik der demografischen Entwicklung in vielen Regionen Sachsen-Anhalts). Bis zum Jahr 2030 wird derzeit (ausgehend vom Basisjahr 2009) mit einem weiteren Rückgang um 18,6% gerechnet, womit Halberstadt in der Demografie-Klassifizierung der Bertelsmann-Stiftung als Kommune des Typs 9 (stark schrumpfend mit hohem Anpassungsdruck) eingestuft wird.

Kommunen dieser Demografie-Klasse finden sich ausschließlich in den neuen Bundesländern. Sie zeichnen sich neben einem starken Bevölkerungsrückgang durch tendenziell kleine Haushaltsgrößen, die verstärkte Abwanderung junger Menschen sowie eine eher problematische kommunale Haushaltslage aus. Diese Kommunen müssen sich in den kommenden Jahren auf tiefgreifende sozioökonomische Verwerfungen sowie auf eine weitere Verschlechterung der eigenen Haushaltssituation vorbereiten [vgl. Bertelsmann 2012, S. 7ff.].

Die Dynamik der demografischen Entwicklung zeigt sich in Halberstadt insbesondere am Altenquotienten. Während im Jahr 2013 auf jeweils 100 Einwohnerinnen und Einwohner im Alter zwischen 20 und 64 Jahren noch 42 Einwohnerinnen und Einwohner mit einem Alter oberhalb von 64 Jahren kamen, werden es im Jahr 2030 bereits 70 Vertreterinnen und Vertreter dieser Altersgruppe sein. Der Anteil der Hochaltrigen an der Einwohnerschaft wird sich im gleichen Zeitraum von 6,2% auf 10,6% nahezu verdoppeln. Diese Entwicklung führt bereits heute zu Problemen bei der Abdeckung des Pflegebedarfs sowie bei der Verfügbarkeit von Fachkräften, wobei vor allem bei regionalen Pflegedienstleistern eine zunehmende Überalterung der in der Pflege tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkennbar ist. So berichteten im Rahmen der AG-Sitzungen während der ersten InnovaKomm-Phase gleich mehrere Halberstädter Pflegeanbieter, dass für die Neubesetzung von Stellen bereits Zeiten von vier bis sechs Monaten eingeplant werden müssten.

AltenquotientHistorisch betrachtet hat die Bevölkerungszahl Halberstadts bereits mehrere größere Schwankungen erlebt. Lebten kurz vor dem Zweiten Weltkrieg noch rund 54.000 Menschen in Halberstadt, nahm die Einwohnerschaft seit Kriegsende leicht und seit Ende der 1980er Jahre deutlich ab. Nach der Wende setzte auch hier der bereits im zweiten Teil dieser Blogserie beschriebene „demografische Schock“ ein, der zu einem durchschnittlichen Bevölkerungsrückgang um 400 Personen jährlich und einem erheblichen Einbruch der Geburtenrate führte: Kamen in Halberstadt im Jahr 1989 noch 505 Kinder zur Welt, so waren es kurze Zeit später im Jahr 1992 nur noch 298 [vgl. Rimpler 2013, S. 15ff]. Das in den frühen 1990er Jahren erreichte, niedrige Geburtenniveau blieb seitdem praktisch unverändert – so wurden in 2013 327 Geburten, dafür aber 606 Todesfälle registriert. Durch Geburtenknick und Abwanderung gingen zwischen 1991 und 2011 insgesamt rund 4.800 Einwohnerinnen und Einwohner verloren.

Die Folgen des demografischen Wandels für Halberstadt lassen sich exemplarisch sehr gut an der Entwicklung der Ausbildungszahlen sowie des Wohnungsleerstands verdeutlichen. So ist beispielsweise die Zahl der Bewerber auf freie Ausbildungsplätze in Halberstadt zwischen den Jahren 2004 und 2013 um mehr als 50% zurückgegangen, was dazu geführt hat, dass in etlichen Branchen Ausbildungsplätze über mehrere Jahre in Folge unbesetzt blieben, da keine geeigneten Bewerber verfügbar waren. Mit Blick auf die Auswirkungen der erheblichen Bevölkerungsabnahme auf den Wohnungsleerstand ist festzustellen, dass dieser trotz des Rückbaus von mehr als 2.000 Wohneinheiten im Rahmen der Teilnahme Halberstadts am Stadtsanierungsprogramm (2002 bis 2006) lediglich von rund 16% im Jahr 2000 auf etwa 14% im Jahr 2011 reduziert werden konnte. Derzeit stehen in Halberstadt noch etwa 3.400 Wohneinheiten leer.

Vor diesem Hintergrund ist absehbar, dass die Möglichkeiten der professionellen Versorgung älterer Menschen in Halberstadt – insbesondere im stationären Bereich – in den kommenden Jahren an ihre Grenzen stoßen werden. Neben wachsenden Anforderungen und fehlendem Nachwuchs sorgt dabei auch die hohe Personalfluktuation für Probleme, die vor allem auf die körperlich schwere Arbeit, auf das besonders hohe Burnout-Risiko von Pflegekräften sowie auf deren wachsende Unzufriedenheit mit den eigenen Arbeitsbedingungen (insbesondere mit dem ständigen Zeitdruck sowie dem hohen Dokumentationsaufwand) zurückzuführen ist.

Auch der Druck auf die informelle Pflege durch Familienangehörige – die derzeit rund vier Millionen pflegenden Angehörigen gelten mit Recht als „Deutschlands größter Pflegedienst“ – nimmt mit der demografischen Entwicklung beständig zu. Insbesondere viele Doppelverdiener-Familien sehen sich zunehmend mit organisatorischen Problemen konfrontiert, da aufgrund dieser (für den Harzkreis und Sachsen-Anhalt jedoch recht typischen) Verdienststruktur die zeitlichen Ressourcen für die Pflege von Familienangehörigen stark eingeschränkt sind. Erschwert wird diese Situation zusätzlich durch die in der Region ebenfalls besonders hohen Pendlerquoten mit entsprechend langen Fahrtstrecken zwischen Arbeitsort und Wohnung. Familienverbünde, die durch den Wegzug von Kindern in wirtschaftlich attraktivere Regionen aufgebrochen werden, stehen für die informelle Pflege kaum bis gar nicht mehr zur Verfügung und erhöhen den Leistungsdruck auf die professionelle Pflege zusätzlich.

Die Verwaltung der Stadt Halberstadt ist sich dieser Situation seit langem bewusst und stellt sich seit der Entwicklung des städtischen Leitbildes im Jahr 2007, in dem unter anderem die Anpassung an die demografischen Erfordernisse sowie die barrierefreie Umgestaltung des öffentlichen Raumes als Ziele festgeschrieben werden, auf den Strukturwandel ein [vgl. Halberstadt 2007]. Das große Interesse von Verwaltung, Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft an der Lösung der mit dem demografischen Umbruch verbundenen Probleme sowie an der Nutzung entstehender Chancen manifestiert sich in einer Vielzahl städtischer Projekte, die von der BMBF-geförderten Senioren-Technik-Beratungsstelle über die Erarbeitung und schrittweise Umsetzung eines preisgekrönten Konzepts zur Schaffung von innerstädtischer Barrierefreiheit bis hin zur Entwicklung der Innovationsstrategie im Rahmen des InnovaKomm-Projektes reichen. Mit dieser Strategie – die übrigens am 30.04. beim Projektträger eingereicht wurde – hofft das Projektteam, einen Beitrag zum konstruktiven weiteren Umgang mit dem demografischen Wandel in und um Halberstadt leisten zu können.

Verwendete Quellen

[Bertelsmann 2012] Bertelsmann Stiftung (2012): Bertelsmann-Demografietyp 9: Stark schrumpfende Kommunen mit besonderem Anpassungsdruck. Unter Mitarbeit von Carsten Große Starmann und Petra Klug. Gütersloh.

[Halberstadt 2007] Stadt Halberstadt (2007): Zukunft gemeinsam gestalten – ein Leitbild für Halberstadt ins Jahr 2020. Halberstadt.

[Rimpler et al. 2013] Rimpler, Thomas; Ruprecht, Siegrun; Zerche, Ina; Kleinwächter, Martina (2013): Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) Stadt Halberstadt. Stadt Halberstadt. Halberstadt.